Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnt vor dramatischen Auswirkungen eines sofortigen Verzichts auf russisches Öl und Gas auf die deutsche Wirtschaft. Er verteidigte am Mittwochabend in der ZDF-Sendung heute journal den Widerstand Deutschlands gegen ein Energieembargo aus Russland.

"Wir können nur Maßnahmen beschließen, von denen ich weiß, dass sie nicht zu schweren wirtschaftlichen Schäden in Deutschland führen, und das wäre der Fall, wenn wir jetzt sofort Öl, Kohle und Gas nicht mehr in dieses Land lassen würden", sagte der Grünenpolitiker. Es gehe darum, wirtschaftliche Schäden abzuwehren, die Deutschland dann über Jahre binden und auch politisch lähmen würden. "Fünf Prozent wirtschaftlicher Einbruch – wenn es denn so käme – ist mehr als die Covid-Pandemie."

Grundsätzlich könne sich Deutschland von russischen Energieimporten lösen, aber dafür brauche man mehr Zeit. "Wir werden uns schnell aus der Klammer von russischen Importen befreien, aber noch sind wir da nicht", sagte Habeck. "In Wochen und Monaten kann man es ändern, aber nicht in Stunden."

Diese Wochen und Monate seien nötig, führte Habeck aus. Es gehe darum, Hunderttausende Arbeitslose und Preissprünge, die die Menschen sich nicht mehr leisten könnten, zu verhindern. Und damit, Schäden abzuwenden, die Deutschland auf Jahre binden und auch politisch lähmen würden. "Wir wissen aus der Covid-Pandemie, dass der Ausfall von nur einigen Vorprodukten zu Schädigungen der gesamten Lieferkette führen kann. Und das gilt natürlich auch für Vorprodukte, die aus Erdgas, Kohle oder Öl stammen", sagte Habeck. 

Anders als zum Beispiel die USA, Großbritannien oder andere Teile Europas sei Deutschland durch Pipelines mit Russland verbunden. Diese seien nicht so leicht durch Schiffe zu ersetzen. Allerdings arbeite man ständig daran, das zu tun – "mit einigem Erfolg". 

Braunkohle sieht Habeck nicht als Ersatz: "Braunkohle ist nicht die Antwort." Sie sei der klimaschädlichste Energieträger, aber nun einmal in Deutschland vorhanden. Sie werde aber allenfalls als Reserve genutzt. Es gehe darum, den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben.

Ukraine bezeichnet Deutschlands Haltung als unmoralisch

Die ukrainische Regierung hat indes abermals den Druck auf Deutschland erhöht, seine Gasimporte aus Russland zu stoppen. Angesichts der hohen Zahl der Kriegsopfer unter der Zivilbevölkerung sei das Nein der Bundesregierung zu einem Importstopp "moralisch nicht tragbar", sagte der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, der Nachrichtenagentur dpa. "Wir rufen die Deutschen auf, eine einzig richtige Entscheidung zu treffen und dieses Embargo unverzüglich einzuführen, um dem Putinschen Krieg gegen die ukrainischen Frauen und Kinder ein Ende zu setzen."

Die Bundesregierung hat ihre Zurückhaltung bei der Eskalation von Sanktionen bisher mit einem ökonomischen und einem politischen Argument begründet. Zum einen bezieht Deutschland etwa 55 Prozent seines Gases, 34 Prozent seines Öls und 45 Prozent seiner Kohle aus Russland. Zum anderen wird im Kanzleramt und in den zuständigen Ministerien bezweifelt, dass ein Energieembargo den russischen Präsidenten vom Kriegskurs abbringen würde.

Die USA und Großbritannien hatten am Dienstag Importverbote für russisches Öl und Gas angekündigt. Bundeskanzler Olaf Scholz dagegen schloss einen solchen Importstopp am Mittwoch erneut aus. Die USA seien Exporteur von Gas und Öl, was man für Europa insgesamt nicht sagen könne, sagte der SPD-Politiker. "Und deshalb sind die Dinge, die getan werden können, auch unterschiedlich."

Scholz und die anderen Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten wollen an diesem Donnerstag über den weiteren Kurs nach Russlands Angriff auf die Ukraine beraten. Bei dem Treffen in Versailles nahe Paris soll es unter anderem darum gehen, die Staatengemeinschaft unabhängiger von russischen Öl-, Gas- und Kohleimporten zu machen.

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