Berlin. Minister Lauterbach schaut mit Sorge in die Corona-Zukunft. Beschränkungen für private Treffen oder Restaurants sollen möglich bleiben.

  • Trotz zahlreicher Lockerungen stellt Gesundheitsminister Lauterbach eine düstere Prognose
  • Demnach müssen wir mit einer Sommerwelle rechnen
  • Warum das so ist und wer besonders aufpassen muss, sagt Lauterbach hier im Interview

Karl Lauterbach ist ein vorsichtiger Mensch, er trägt seine Maske auch beim Interview. Die Augen darüber sind hochkonzentriert, doch man sieht ihnen an, wie anstrengend es ist, als Gesundheitsminister zwei Krisen gleichzeitig bewältigen zu müssen – die Corona-Pandemie und die Folgen des Krieges in der Ukraine.

Putin führt Krieg gegen die Ukraine, es gibt immer mehr zivile Opfer. Was kann Deutschland tun - außer Waffen zu liefern?

Karl Lauterbach: Die Lage der Menschen in der Ukraine ist jetzt schon schrecklich, wird aber noch schlimmer werden. Putins Strategie läuft darauf hinaus, auch die medizinische Infrastruktur zu zerschlagen. Zu den Verwundeten des Krieges kommen noch diejenigen, die ihre medizinische Versorgung verlieren. Zusammen mit dem Auswärtigen Amt, dem Innen- und dem Verteidigungsministerium organisieren wir deswegen die Versorgung von Kriegsverletzten und von Patientinnen und Patienten, die in der Ukraine nicht mehr behandelt werden können.

Dazu zählen Krebspatienten oder Dialyse-Patienten. Weil wir mit sehr vielen Fällen rechnen, werden wir die Menschen auf die Bundesländer verteilen. Das wäre sinnvoll nach demselben Kleeblatt-Prinzip, mit dem wir auch Covid-Patienten versorgt haben. Die Krankenhausgesellschaft und die Ärzteschaft haben ihre Hilfe zugesichert.

Ihre Mutter ist 87 Jahre alt. Was bedeutet der Krieg in Europa für diese Generation?

Lauterbach: Für Menschen wie meine Mutter, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt hat, ist das bestürzend. Sie hätte nicht gedacht, dass so etwas noch einmal kommt. Es war unvorstellbar für sie. Für mich allerdings auch.

Lesen Sie dazu: Kriegsangst: Wie sie entsteht – und was dagegen hilft
Sprechen Sie darüber?

Lauterbach: Meine Mutter kann bis heute ihre Kriegserinnerungen noch sehr genau schildern. Durch sie weiß ich: Der Krieg ist schlimm für alle – aber am schlimmsten ist er für die Kinder. Meine Mutter und mein Vater haben als Kinder unter dem Krieg unfassbar gelitten. Das hat ihr Leben geprägt. Mein Vater hat die Bombardierung seiner Heimatstadt Düren in Alpträumen immer wieder durchlebt. Das ist genau das, was den Kindern in der Ukraine jetzt droht. Putin ist ein Verbrecher, der die Kindheit einer ganzen Generation zerstört.

Der Krieg bindet gerade alle politischen Kräfte. Wird das ein Problem für den Kampf gegen die Pandemie?

Lauterbach: Wir müssen schon die Prioritäten richtig setzen. Der Krieg verursacht unfassbares Leid und große Ängste. Darauf müssen wir reagieren. Und das haben wir. Die Corona-Krise ist aber noch nicht vorbei. Sie wird weiter meine Arbeit prägen, auch wenn wir jetzt zusätzliche Aufgaben bekommen.

In zwei Wochen, am 20. März, sollen die meisten Corona-Schutzmaßnahmen auslaufen. In Deutschland soll nur noch ein ‚Basisschutz‘ gelten. Was gehört für Sie dazu?

Lauterbach: Das Infektionsschutzgesetz muss darauf ausgerichtet werden, dass wir schon bald weitere Wellen bekommen. Ich teile die Sorge vieler Wissenschaftler: Wir müssen mit einer Sommerwelle rechnen. Sowohl die Delta- wie auch die Omikron-Variante sind so infektiös, dass es selbst bei gutem Wetter durch viele Kontakte und den nachlassenden Impfschutz wieder zu steigenden Infektionszahlen kommen könnte, wenn es gar keine Einschränkungen mehr gäbe.

Wie hoch kann diese Sommerwelle denn werden?

Lauterbach: Das kann man jetzt noch nicht sagen. Eine große Gruppe in der deutschen Bevölkerung hatte noch keine Omikron-Infektion. Und selbst wenn man sich mit Omikron angesteckt hat, kann man sich nochmal mit Delta infizieren. Selbst eine zweite Omikron-Infektion ist möglich. Außerdem lässt bei vielen der Impfschutz bereits wieder nach.

Welcher Schutz soll also bleiben?

Lauterbach: Die Länder müssen die Möglichkeit haben, frühzeitig auf die kommenden Wellen zu reagieren. Dazu gehören die Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen. Es sollte möglich sein, Obergrenzen für private Treffen und öffentliche Veranstaltungen festzulegen sowie Zutrittsregeln etwa für die Gastronomie, also 2G- oder 2G-Plus-Regelungen.

Dazu muss es weiterhin die Möglichkeit geben, Testregeln im öffentlichen Raum und in Betrieben durchzusetzen. All diese Instrumente sollten nur dann zum Einsatz kommen, wenn sie tatsächlich notwendig sind. Die Landesparlamente müssten das dann feststellen.

Die FDP lehnt das meiste davon ab. Was passiert, wenn Sie sich nicht einigen?

Lauterbach: Das halte ich für ausgeschlossen. Wir werden eine Einigung finden.

Wann ist diese Pandemie zu Ende?

Lauterbach: Ich bin ziemlich sicher, dass wir eine Herbstwelle bekommen. Und auch danach wird uns Corona noch lange beschäftigen - ein Jahrzehnt oder mehr. Das HIV-Virus ist vor 40 Jahren aufgetaucht, und es ist immer noch da. Wir müssen immer wieder mit Corona-Varianten rechnen, und auch gefährliche Varianten können dabei sein.

Es wird auch immer wieder zu Ausbrüchen kommen. Das nennt man die endemische Phase. Und es wird auch immer eine Gruppe geben, die nicht ausreichend geimpft ist, deren Impfschutz schon wieder abnimmt und bei denen die Impfung durch Immunschwächen gerade nicht ausreichend wirkt.

Welchen Nutzen hat da ein Omikron-Impfstoff?

Lauterbach: Ich rechne frühestens im Mai mit einem an die Omikron-Variante angepassten mRNA-Impfstoff. Dessen Booster-Wirkung gegen andere Varianten, zum Beispiel Delta, wird wahrscheinlich nicht so stark sein. Der Omikron-Impfstoff wird daher die bisherigen Impfstoffe nicht komplett ersetzen. Trotzdem ist es gut, dass wir ihn bekommen.

Also müssen sich nicht alle mit dem Omikron-Vakzin impfen lassen?

Lauterbach: Damit rechne ich nicht. Am Ende muss das aber die Ständige Impfkommission entscheiden.

Wann kommt der Impfstoff für Kinder unter fünf?

Lauterbach: In den Studien haben die Impfstoffe bei den Kleinkindern nicht die Impfwirkung gezeigt, die wir erhofft hatten. Gerade in dieser Altersgruppe muss die Wirkung aber besonders klar belegt sein. Es ist deswegen im Moment unklar, ob es eineImpfempfehlung für unter Fünfjährige in Deutschland geben wird.

Das Ziel der Bundesregierung, 80 Prozent der Bevölkerung gegen Corona zu impfen, ist immer noch nicht erreicht. Sind Sie sicher, dass die allgemeine Impfpflicht noch kommt?

Lauterbach: Die Impfpflicht hat dann eine Chance, wenn diejenigen sich zusammenfinden, die uns eine schwere Herbstwelle mit neuen Einschränkungen ersparen wollen. Sie müssen sich jetzt auf einen gemeinsamen Antrag einigen. Wir sollten unsere Kräfte bündeln. Die Union ist ebenfalls der Ansicht, dass man eine Impfpflicht braucht.

Wenn wir uns jetzt auf einen gemeinsamen Antrag einigen könnten, dann wären wir auch bereit, auf die Union zuzugehen. Es wäre in wichtiges Signal an die Bevölkerung, dass wir hier an einem Strang ziehen. Ich empfehle deswegen allen Antragstellern für eine allgemeine Impfpflicht, sich hinter einen gemeinsamen Antrag zu stellen. Ich appelliere auch an den Unionfraktionsvorsitzenden Friedrich Merz persönlich, hier im Dienste der Gesundheit der Bevölkerung dabei zu helfen.

Würden Sie sich mit einer Impfpflicht erst ab 50 Jahren zufriedengeben?

Lauterbach: Ich bin für die Impfpflicht ab 18. Aber wenn wir einen Kompromiss wollen, müssen sich alle Seiten bewegen.

Wer soll die Impflicht kontrollieren, wenn es kein Impfregister gibt?

Lauterbach: Wir haben eine Versicherungspflicht. Man muss jederzeit seinen Versicherungsnachweis erbringen können. Genauso könnte es mit dem Impfnachweis gehen: Wer bei seiner Krankenkasse keine Impfung nachweisen kann, würde Post vom Ordnungsamt bekommen, mit dem Hinweis auf Bußgelder.

Spielen die Krankenkassen da mit?

Lauterbach: Wenn Bundestag und Bundesrat ein Gesetz verabschieden, dann gilt das. Die Krankenkassen haben keinen Spielraum, welche Gesetze sie umsetzen und welche nicht.

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